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Kompetenznetz KOKON

Schmerz

# Einleitung

Der Schmerz, als Sinneswahrnehmung bei potentieller Gewebeschädigung, hat neben der physischen auch eine wichtige psychische Dimension. Hinzu kommen bei Tumorschmerzen auch eine spirituelle und soziale Komponente, die auch im kulturellen Zusammenhang gesehen werden muss. Daher ist es auch wichtig, dass neben der analgetischen Therapie auch eine psychische Unterstützung erfolgt.

# Wissen aus klinischen Studien

Die Auswertung der klinischen Studien zu den einzelnen Verfahren ergibt folgendes Bild (Stand 2023):

  • Anhaltspunkt für eine Wirksamkeit für: Hypnotherapie bei Tumor- oder Tumortherapie assoziierter Schmerzen

  • Anhaltspunkte für die Wirksamkeit von Musiktherapie.

  • Anhaltspunkt für eine Wirksamkeit für: Osteopathie

  • Beleg für fehlende Wirksamkeit für: hochdosiertes Vitamin D in der Reduktion muskuloskelettaler Schmerzen bedingt durch Aromatase Inhibitoren

  • Die Studienergebnisse ergaben einen Hinweis für fehlende Wirksamkeit für: Magnesium als Co-Analgetikum zur Reduktion der Opioid-Dosis

  • Die Studienergebnisse ergaben Anhaltspunkte für fehlende Wirksamkeit für: Cannabinoide bei Tumorschmerzen und während der Radiotherapie

  • Die Studienergebnisse waren widersprüchlich oder nicht aussagefähig für: Akupunktur, Progressive Muskelrelaxation (PMR)

# Aussagen in deutschsprachigen Leitlinien

S3-Leitlinie Komplementärmedizin bei onkologischen Patienten (2021)

  • Die S3-LL Komplementärmedizin gibt eine „sollte“-Empfehlung zur Akupunktur bei Tumorschmerzen,

  • eine „kann“-Empfehlung zu den folgenden Therapien: Akupunktur bei neuropathischen Schmerzen, Elektroakupunktur bei post-operativen Schmerzen, ärztlich geleitetes individualisiertes multimodales komplementärmedizinisches Therapieangebot und zur Ohr-Akupressur bei Tumor-schmerzen.

  • Sie gibt eine „sollte nicht“-Empfehlung zur Bioenergiefeld-Therapie

S3-Leitlinie Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten (2023)

  • Die Musiktherapie "kann Krebspatient*innen zur Reduktion von Schmerz in Ergänzung zu einer leitliniengerechten Schmerztherapie angeboten werden."

Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin bei nicht heilbaren Krebserkrankungen (2020)

Diagnostik

  • Schmerzanamnese und schmerzbezogene klinische Untersuchung sollen Bestandteil jeder Schmerzdiagnostik sein

  • Die Einschätzung der Schmerzintensität soll nach Möglichkeit durch den Patienten selbst erfolgen, z. B. durch einfache eindimensionale Schmerzintensitätsskalen im Rahmen einer mehrere Symptome einschließenden Erfassung

  • Bei Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung und Schmerzen sowie einer deutlichen kognitiven oder körperlichen Einschränkung soll die Erfassung der Schmerzintensität durch Fremdeinschätzung von Angehörigen oder Personal erfolgen Abklären einer behandelbare Schmerzursache inkl. Indikation für eine tumor-spezifische Therapie (Verkleinerung der Tumormasse, Bestrahlung einer Knochenmetastase, Druckentlastung durch Punktion von Aszites oder Pleuraergüssen, Nervenkompressionsentlastung, Ablauf bei gastrointestinaler Obstruktion u.a.) die generell zusammen mit einer Schmerzmedikation „genutzt werden sollten“.

  • Die Basisdiagnostik sollte zu unterscheiden suchen, ob es sich um einen tumor- und therapiebedingten oder davon unabhängigen Schmerz handelt, um welchen Schmerztypen es sich handelt (nozizeptiv, neuropathisch, Mischform) und wie die Schmerzintensität ist.

    • Zur Differenzierung zwischen nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen sollte nach Pluszeichen (z. B. Hyperalgesie, Allodynie) und Minuszeichen (z. B. Hypästhesie, Paresen) gefahndet werden.

    • Begleitsymptome wie ein Taubheitsgefühl im Versorgungsgebiet zentraler oder peripherer Nerven-strukturen, Paresen, Reflexauffälligkeiten und weitere vegetative Symptome können auf einen neu-ropathischen Schmerz hinweisen. Ebenfalls finden sich bei neuropathischer Schmerzkomponente häufiger Brennschmerzen, Parästhesien, evozierte Schmerzen (Allodynie) und spontane Schmerz-attacken.“

Therapie

Leichte bis mittlere Tumorschmerzen

  • wenn Schmerzen nicht adäquat durch orale, regel-mäßige Verabreichung von Nicht-Opioid-Analgetika (NSAR, Paracetamol, Metamizol) kontrolliert werden können, „sollten“ zusätzlich orale Stufe-II-Opioide (z.B. Tramadol, Tilidin/Naloxon) und alternativ niedrig dosierte Stufe-III-Opioide (Oxycodon bis 20mg/Tag, Morphin bis 30mg/Tag oder Hydromorphon bis 4mg/Tag)

Mittlere bis starke Tumorschmerzen

  • Hier „sollen“ Stufe-III-Opioide „eingesetzt werden“.

  • Als Medikamente der ersten Wahl „können“ Oxycodon, Morphin und Hydromorphon „verwendet werden.“

  • "Levomethadon als Stufe-III-Opioid der ersten oder späteren Wahl“ „kann verwendet werden“, „soll aufgrund seines komplexen pharmakokinetischen Profils mit einer unvorhersehbaren Halbwertszeit“ allerdings „nur von erfahrenen Ärzten eingesetzt werden.“

  • „Stufe-III-Opioide können mit NSAR ergänzt werden, um die Analgesie zu verbessern oder um die Opioid-Dosis zu verringern, die zum Erreichen einer ausreichenden Analgesie erforderlich ist“, allerdings „sollte aufgrund des Risikos schwerer Nebenwirkungen, insbesondere bei älteren Patienten und Patienten mit Nieren-, Leber- oder Herzinsuffizienz“ die Verwendung von NSAR „eingeschränkt erfolgen“. Hier „kann“ aufgrund eines besseren Risikoprofils „Metamizol bzw. Paracetamol den NSAR“ vorgezogen werden.

Opioid-Titration

  • Für eine zügige Schmerzeinstellung „können schnell und langsam freisetzende orale Morphin-, Oxycodon- und Hydromorphon-Präparate zur Dosistitration verwendet werden.

  • Die Titrationszeitpläne „sollten“ von schnell freigesetzten Opioiden als Bedarfsmedikation ergänzt werden.

  • „Bei Patienten mit Tumorschmerzen soll die intravenöse Verabreichung für die Opioid- Titration verwendet werden, wenn eine schnelle Schmerzkontrolle erforderlich ist“

Applikationsformen

  • Generell sollte, „wenn von der oralen zur subkutanen oder intravenösen Morphin-Applikation gewechselt wird“, „entsprechend einer relativen analgetischen Potenz zwischen 3:1 und 2:1 erfolgen.

  • „Für einige Patienten mit Tumorschmerzen können transdermales Fentanyl oder transdermales Buprenorphin als Alternative zu oralen Opioiden das bevorzugte Stufe-III-Opioid sein.

  • „Bei Patienten, denen Opioide nicht auf oralem oder transdermalem Weg verabreicht werden können, soll der subkutane Applikationsweg bei der Verabreichung von Morphin oder Hydromorphon die erste Alternative sein.“

  • „Bei Patienten mit Tumorschmerz, bei denen die subkutane Verabreichung kontraindiziert ist“… „soll die in-travenöse Applikation in Betracht gezogen werden.

  • „Für Patienten, bei denen keine adäquate Analgesie mit oraler und transdermaler Applikation erzielt werden kann, kann die kontinuierliche intravenöse oder subkutane Applikation eine Therapiealternative sein, um ei-ne optimale Schmerzkontrolle zu erzielen.“

  • „Die rektale Opioid-Applikation sollte nur als Methode der zweiten Wahl eingesetzt werden“ (Verfügbarkeit, geringe Akzeptanz).

  • Bei nicht ausreichender Analgesie trotz optimiertem Einsatz der oben genannten Therapien „können Opioide in Kombination mit Lokalanästhetika oder Clonidin rückenmarksnah (peridural oder intrathekal) verabreicht werden.

Opioidwechsel

  • „Bei Patienten, die unter Stufe-III-Opioiden keine ausreichende Analgesie erreichen und unter schweren bzw. unkontrollierbaren Nebenwirkungen leiden, kann auf ein alternatives Opioid gewechselt werden.“

  • „Bei Patienten mit Tumorschmerzen, die auf ein anderes Opioid umgestellt werden, sollte die Umstellung anhand von Umrechnungsfaktoren erfolgen und die Anfangsdosierung niedriger sein als die nach publizierten Äquipotenztabellen berechnete. Die Dosis ist anhand des klinischen Ansprechens dann zu titrieren.

Nierenversagen

  • „Bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion (glomeruläre Filtrationsrate < 30 ml/min) sollten Opioide vorsichtig eingesetzt werden.“

  • Als Opioide der ersten Wahl sollten Fentanyl oder Buprenorphin in niedrigen Anfangsdosierungen und nachfolgender vorsichtiger Titration verabreicht werden.

  • Als kurzfristige Strategie „können“ die Morphindosis reduziert bzw. das Dosisintervall verlängert werden.

Komedikation

  • Bei opioidbedingter Übelkeit und Erbrechen „sollten“ „Medikamente mit antidopaminergen (z. B. Haloperidol*) bzw. antidopaminergen und weiteren Wirkungsmechanismen (z. B. Metoclopramid) verwendet werden“.

  • Bei opioidbedingter Obstipation „sollen“ Laxantien zur Behandlung oder Vorbeugung von opioidbedingter Obstipation“ „routinemäßig verordnet werden“, wobei es gibt keine Evidenz dafür gibt, „nach der ein Laxans gegenüber anderen zu bevorzugen ist“.

  • Eine Laxantien-Kombination „kann“ erfolgen. Wenn dies nicht ausreicht, „soll die Gabe von peripher wirksamen Opioidantagonisten“ (z. B. Methylnaltrexon, Naldemedin, Naloxegol) „in Betracht gezogen werden“.

  • Bei opioidbedingten ZNS Symptomen „kann“ zur Behandlung der Sedierung Methylphenidat verwendet werden (sehr enger therapeutischer Bereich). Zur Behandlung anderer Symptome (Delir, Halluzinationen, Myoklonien, Hyperalgesie) kann eine Dosisreduktion oder ein Wechsel des Opioids durch-geführt werden.

Adjuvanzien bei neuropathischen Schmerzen

  • Tumorschmerzen werden durch eine Mischung aus nozizeptiven und neuropathischen Mechanismen generiert.

  • „Bei Patienten mit neuropathischen Tumorschmerzen, die nur teilweise auf Opioid-Analgetika ansprechen, soll Amitriptylin, Gabapentin oder Pregabalin in Betracht gezogen werden“.

  • Bei der Kombination eines Opioids mit Amitriptylin, Pregabalin oder Gabapentin treten häufig ZNS-Nebenwirkungen auf, sofern nicht beide Medikamente vorsichtig titriert werden.“

Schmerzexazerbation und Durchbruchschmerzen

  • „Eine Schmerzexazerbation infolge unkontrollierter Dauertumorschmerzen soll mit zusätzlichen Dosen schnell freisetzender, oraler Opioide behandelt werden und die Dauermedikation auf eine angemessene Höhe titriert werden und nicht ausschließlich mit Bedarfsmedikation reagiert werden. Durchbruchschmerzen (z. B. bewegungsabhängige Schmerzen) „sollen mit oralen, schnell freisetzen-den Opioiden oder mit transmucosalen Fentanyl-Darreichungsformen behandelt werden“, … „um präventiv vorhersehbare Episoden von Durchbruchschmerzen 20–30 Minuten vor dem auslösenden Ereignis zu behandeln.“