Zum Hauptinhalt
Kompetenznetz KOKON

Appetitlosigkeit

# Einleitung

Inappetenz ist das fehlende oder eingeschränkte Bedürfnis zu essen, welches fast immer von einer reduzierten oralen Nahrungsaufnahme und oft von weiteren Symptomen, wie beispielsweise früh- zeitiger Sättigung, Geruchs- und Geschmacksveränderungen sowie Übelkeit und Erbrechen begleitet ist. In der Folge kann es zu weiteren Komplikationen, wie z.B. Müdigkeit, Schwäche, Fatigue, Muskelabbau, Gewichtsverlust und Mangelernährung kommen. Im Rahmen einer Tumorerkrankung sind etwa 50% der Patient*innen bereits bei Diagnosestellung von diesem Phänomen betroffen

Bei Inappetenz kann unterschieden werden zwischen krankheitsbedingten Ursachen (Tumorerkrankungen, Schmerzen, Mundschleimhautveränderungen, Magen-Darm- Erkrankungen, chronischen Infekte, Passageproblemen, etc.), therapiebedingten Ursachen (insbesondere antineoplastische Therapien, aber auch Antibiotika und Opioide, etc.) und psycho-sozialen Ursachen (z.B. Angst, Depression, soziale Faktoren)

# Wissen aus klinischen Studien

Zum Thema Inappetenz hat die Wissensdatenbank keine weiteren Leitlinien, Übersichtsarbeiten oder Studien ausgewertet.
In der Wissensdatenbank Stand 12/2020 gibt es in Bezug auf die Tumorkachexie für Cannabispraparate sowie für Melatonin aufgrund fehlender Hinweise für eine Wirksamkeit aktuell keinen klinischen Stellenwert. Für den Einsatz von Omega-3 Fettsäuren gibt es einen Hinweis für fehlende Wirksamkeit auf die Tumorkachexie mit Ausnahme von Patienten mit NSCLC während der Chemotherapie. Hier gibt es einen Anhaltspunkt für die Zunahme des Körpergewichtes. Für L-Carnitin gibt es einen Anhaltspunkt für die Wirksamkeit auf die Tumorkachexie.

Therapie:
Kurz zusammengefasst ergeben die Ergebnisse der interventionellen Studien folgendes Bild:

  • Melatonin hat keine Wirksamkeit bei der Therapie der Tumorkachexie (Stand 08/18)

  • Medizinischer Cannabis bzw. Cannabinoide könnten zwar leichte appetitsteigernde Wirkungen haben, beeinflussen aber das Körpergewicht nicht (Stand 10/20)

  • die supplementäre Gabe von L-Carnitin könnte die Tumorkachexie mindern (Stand 06/18)

  • Omega-3 Fettsäuren maritimer Herkunft könnten während der Therapiephase dazu beitragen, dass sich das Körpergewicht nicht vermindert, haben aber keine Wirkung auf die Tumorkachexie bei bereits fortgeschrittenen Tumorerkrankungen (Stand 07/18)

# Aussagen in deutschsprachigen Leitlinien

Zum Umgang mit Kachexie und zu Inappetenz finden sich Stellungnahmen in den folgenden deutschsprachigen Leitlinien:

Die S3-LL klinische Ernährung empfiehlt ein Screening auf Mangelernährung für alle onkologischen Patienten mit validierten und international etablierten Instrumenten wie dem NRS-2002/MUST und bei Auffälligkeiten eine weitergehende Diagnostik.

Therapie:

  • Die S3-LL klinische Ernährung regt an, der systemischen Inflammation, dem Muskelabbau und der Appetitminderung entgegenzuwirken.

  • Sie definiert eine unzureichende Nahrungszufuhr, wenn für mehrere Tage eine orale Nahrungszufuhr von weniger als 500 kcal/Tag (Nahrungskarenz) oder wenn für länger als 1 – 2 Wochen eine orale Nahrungszufuhr von nicht mehr als 75 % des Bedarfes erwartet wird.

  • Als mögliche pharmakologische Therapien „können“ bei palliativer Situation Gestagene eingesetzt werden, die den Appetit und das Körpergewicht steigern, jedoch die Körpermagermasse nicht erhöhen, Nebenwirkungen haben (Impotenz, Thrombembolien, Nebenniereninsuffizienz) und in Deutschland dafür nicht zugelassen sind (off-label).

  • Ebenfalls „können“ bei palliativer Situation kurzfristig Kortikosteroide eingesetzt werden.

  • Schließlich „können“ bei Patienten mit Tumorkachexie Eicosapentaensäurepräparate eingesetzt werden und es „kann erwogen wer- den“, bei Patienten mit Tumorkachexie und Geschmacksstörungen Cannabispräparate einzusetzen.

  • Daneben gibt es eine Reihe von Substanzen, die nicht direkt den Appetit steigern, sondern z.B. zur Gewichtszunahme oder Erhalt der Muskelmasse (z.B: Methylbutyrat, Insulin, NSAR (Ibuprofen, Indometacin), supportive Magen-Darm-Therapeutika wie Trinknahrung) „eingesetzt werden können“.

  • Abgesehen davon gibt sie keine Empfehlung zum Einsatz anderer Substanzen wie Ghrelin, IL-6- Antikörper, JAK1/2-Inhibitoren, TNF-alpha-Inhibitoren, Thalidomid, Proteasominhibitoren, ATP- Infusionen, IL-15-Agonisten, und MEK-Inhibitoren, Glutamin und L-Carnitin.

Die S3-LL Komplementärmedizin gibt ebenfalls keine Empfehlung zum Einsatz von Carnitin aufgrund unzureichender Daten für eine Bewertung