Hintergrund
Selen ist ein essenzielles Spurenelement für den menschlichen Organismus.
Die Aufnahme aus der Nahrung findet überwiegend über tierische Nahrungsmittel und Getreideprodukte statt. Eine Scheibe Vollkornweizenbrot oder eine halbe Tasse gekochter Reis enthält etwa 10 µg Selen, ein Ei ca. 14 µg und 100 g Fleisch oder Fisch im Allgemeinen 20–40 µg. Allerdings kann der Selengehalt von Lebensmitteln je nach Wachstumsbedingungen der Pflanze bzw. Ernährung des Tieres oder auch der geographischen Region, aus der das Lebensmittel stammt, erheblich schwanken.
Selen wird im menschlichen Organismus nach intestinaler Resorption an Selenproteine gebunden und entweder spezifisch in katalytisch aktive Selenenzyme oder unspezifisch in Gewebeproteine eingebaut. Bislang wurden über 25 selenhaltige Enzyme identifiziert. Es werden mindestens zwei funktionelle Gruppen von Selenproteinen unterschieden. Die erste ist an Redoxprozessen im Gewebe beteiligt (Glutathionperoxidasen, Thioredoxinreduktasen), die zweite am Schilddrüsenhormonstoffwechsel (Jodthyronin-Dejodasen).
Die Angaben zum Tagesbedarf von Selen schwanken zwischen 30 - 55µg. Die für die Gesundheit des Menschen optimale Selenzufuhr ist nicht bekannt.
Selen wird in Form von Tabletten, Kapseln und Lösungen zur oralen Einnahme vertrieben. Die zur Behandlung von Selenmangel zugelassenen Präparate enthalten Natriumselenit und sind als Lösung zur oralen oder intravenösen Applikation erhältlich.
Die Definition eines Selenmangels ist in der Literatur nicht einheitlich. Als subklinischer Selenmangel wird in der Regel ein Selen-Serumspiegel von unter 75µg/l bezeichnet.
Die Nahrungsergänzung mit Selen wird zur Prävention von malignen Erkrankungen und zur Minderung von therapiebedingten unerwünschten Wirkungen propagiert
Wirksamkeit
Zur Prävention von malignen Erkrankungen ergab die Analyse von 83 Studien in einer systematischen Übersichtsarbeit
keinen Hinweis, dass sich mit der Supplementation von Selen die Häufigkeit an Krebs zu erkranken verringern lässt
sie gaben aber Anhaltspunkte dafür, dass sich durch die regelmäßige Einnahme von Selen das Risiko an nicht-melanomatösen Hautkrebsen zu erkranken und bei Männern mit bereits hohen Selenspiegeln sich das Risiko von Prostatakrebserkrankungen erhöhen könnte
Zum Einsatz in der onkologischen Supportivtherapie gibt es Ergebnisse aus Interventionsstudien zu folgenden Indikationen:
Prophylaxe der Chemotherapie-induzierten oralen Mukositis: Es gibt einen Anhaltspunkt, dass eine Supplementation mit Selenomethionin eine prophylaktische Wirksamkeit auf die orale Mukositis im Rahmen einer Hochdosischemotherapie bei Stammzelltransplantation hat.
Prophylaxe der Radio- oder Radiochemotherapie-induzierten oralen Mukositis: Die Studienergebnisse sind widersprüchlich, sodass keine sichere Aussage über die möglichen prophylaktischen Wirkungen gemacht werden kann.
Nephroprotektion: Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass anorganisches Selen (Natriumselenit) einen protektiven Effekt auf die Cisplatin-induzierte Nephrotoxizität hat und organisches Selen (Selenomethionin) dies nicht hat.
Komplikationen von Lymphödemen: Es gibt einen Anhaltspunkte dafür, dass anorganisches Selen (Natriumselenit) das Risiko an einem Erysipel im Bereich eines postoperativen Lymphödems zu erkranken verringern könnte.
Postoperatives Lymphödem: Es gibt einen Anhaltspunkte dafür, dass anorganisches Selen (Natriumselenit) das postoperative Lymphödem nach Tumorresektionen im HNO-Bereich verringern könnte.
Dies ist aus dem Abstrakt der Monografie zu Selen entnommen, in der sich eine genaue Darstellung und Bewertung der Ergebnisse der ausgewerteten Studien und Übersichtsarbeiten findet. Sie ist in englischer Sprache auf dem Portal von CAM-Cancer verfügbar.
Aussagen in Leitlinien
Die S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin (2021) stellt fest, dass Selen bei nachgewiesenem Selenmangel zur Prophylaxe von Radiotherapie-induzierter Mukositis bei HNO-Tumoren sowie der Proktitis bei Radiotherapie von gynäkologischen Malignomen eingesetzt werden kann.
Für eine Empfehlung zur Prävention der oralen Mukositis im Rahmen von Hochdosischemotherapien bei Stammzelltransplantationen wurden die Daten als nicht ausreichend bewertet.
Die S3-Leitlinie zur Supportivtherapie (2020) gibt "aufgrund fehlender Evidenz" keine Empfehlung für oder gegen den Einsatz von Selen zur Prophylaxe der radiogenen Xerostomie.
Sicherheit
Erste Zeichen einer Selentoxizität (knoblauchartiger Atemgeruch, Haar- und Nagelveränderungen, Magenbeschwerden) wurden bei Teilnehmern einer klinischen Studie beobachtet, die täglich 1.600 µg oder 3.200 µg Selenhefe über bis zu 24 Monate erhielten.
In der SELECT-Studie zur Prävention von Tumorerkrankungen mit Selen und Vitamin E (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) in der täglich 200 µg Selenomethionin über 7–12 Jahre verwendet wurde, lag die Häufigkeit von Alopezie (Gesamtinzidenz 3 % der Teilnehmer) und leichter Dermatitis (7 % der Teilnehmer) höher als in der Placebogruppe (Steigerung des relativen Risikos jeweils +28 % und +17 %). Keine der Studien berichtete schwerwiegendere Nebenwirkungen oder Anzeichen einer chronischen Toxizität.
Es gibt allerdings Bedenken, dass die langfristige Einnahme von Selen das Risiko für Typ-2-Diabetes mellitus und nicht-melanomatösen Hautkrebs in mit Selen gesättigten Populationen erhöhen kann.
Es liegen keine kontrollierten Daten zu den Auswirkungen von Selenzusätzen bei Schwangeren oder stillenden Frauen ohne Selenmangel vor.