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Multimodales Training

Hintergrund

Multimodales Training ist ein strukturiertes Bewegungsprogramm, das verschiedene Trainingskomponenten wie Kraft-, Ausdauer-, Vibrations- und sensomotorisches Training kombiniert. Ziel ist die Förderung von körperlicher Leistungsfähigkeit, Koordination und Wohlbefinden. In der medizinischen Anwendung, insbesondere in der onkologischen Rehabilitation und Supportivtherapie, wird multimodales Training eingesetzt, um die Muskelfunktion zu verbessern, die kardiovaskuläre Gesundheit zu fördern und die Lebensqualität zu steigern. Es unterscheidet sich von einseitigen Trainingsformen durch die Integration mehrerer Bewegungsarten, die individuell an die Bedürfnisse der Patient*innen angepasst werden.

Wirksamkeit

Die Wirksamkeit eines multimodalen Trainings ist in robusten Studien nur schwierig zu überprüfen.

Zur Prophylaxe oder Behandlung der CIPN werden durch verschiedene Institutionen die Anwendung einzelner oder mehrerer Komponenten vorgeschlagen und auch Anleitungen gegeben. Allerdings fehlen für diese vorgeschlagenen Interventionen Fakten aus Studien an Patienten mit CIPN und es werden Analogieschlüsse aus Studien mit multimodalem Training bei anderen Neuropathien herangezogen.

Zum Einsatz in der onkologischen Supportivtherapie gibt es Ergebnisse aus Interventionsstudien zu folgenden Indikationen:

  • Prophylaxe der Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie (CIPN) Es gibt einen Anhaltspunkt für die Wirksamkeit eines multimodalen Trainings (sensomotorisches, Kraft- und Ausdauertraining) zur Prophylaxe der Vincristin, Platin und/oder Taxan induzierten peripheren Neuropathie. Hierzu wurden folgende Studien ausgewertet:

    • In der Studie von Streckmann (2013) erhielten Patienten mit einem Lymphom begleitend zu ihrer nicht weiter beschriebenen antineoplastischen Therapie (Immun-Chemotherapie, Hochdosis-Chemotherapie vor autologer oder allogener Stammzelltransplantation, Bestrahlung) über 36 Wochen zweimal pro Woche ein supervidiertes sensomotorisches, Ausdauer- und Krafttraining während die Kontrollgruppe eine Standard-Physiotherapie erhielt. Die Lebensqualität (gemessen mittels EORTC-QoL-C30) war als primärer Endpunkt in Woche 12 aber nicht in Woche 36 signifikant höher als in der Kontrollgruppe. Die sekundären Endpunkte waren neuropathische Beschwerden und wurden mittels Stimmgabeltest, Gleichgewichtskontrolle und körperliche Aktivität gemessen und waren in der Interventionsgruppe signifikant besser. 

    • In der Studie von Zimmer (2017) erhielten Patienten mit einem metastasiertem kolorektalem Karzinom eine nicht weiter beschriebene Chemotherapie. In der Interventionsgruppe wurde über 8 Wochen zweimal pro Woche ein supervidiertes Ausdauer-, Balance- und Krafttraining durchgeführt während die Kontrollgruppe eine schriftliche Anweisung für physische Aktivität erhielt. Der primäre Endpunkt waren die vom Patienten berichteten neuropathischen Beschwerden (gemessen mittels FACT-GOG-Ntx). Die neuropathischen Beschwerden waren in der Interventionsgruppe signifikant geringer als in der Kontrollgruppe.

    • In der Studie von Kleckner (2017) erhielten Patienten mit unterschiedlichen Tumoren ein Platin, Taxan und/oder Vinca Alkaloid basierte Chemotherapie. Die Interventionsgruppe erhielt ein nicht supervidiertes, individuelles, patentiertes Ausdauer und Krafttraining während die Kontrollgruppe keine Intervention erhielt. CIPN war kein Endpunkt der Studie, sondern wurde in einer sekundären Datenanalyse ausgewertet worden. Hier konnte ein Trend bzw. knapp signifikant weniger neuropathische Beschwerden wie Gefühlsstörungen in der Interventionsgruppe festgestellt werden.

  • Therapie der Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie (CIPN): Die Ergebnisse der Studien sind widersprüchlich, so dass keine robuste Aussage zur Wirksamkeit der multimodalen Therapie zur Therapie der CIPN getroffen werden kann. Hierzu wurden folgende Studien ausgewertet:

    • In der randomisierten, kontrollierten, unverblindeten Studie von Schönsteiner (2017) erhielten Patienten (n=131) mit einer Neuropathie induziert durch Platinderivate, Taxane, Vinca Alkaloide, Bortezomib oder Kombinationen aus Taxan und Platin neben einer physiotherapeutischen Beübung und Massagen zusätzlich in der Interventionsgruppe Übungen auf einer Ganzkörper-Vibrationsplatte. Bezüglich des primären Endpunkts, dem fünfmaligen Aufstehen von einem Stuhl in einer gewissen Zeit, verbesserten sich über die Zeit des Studieneinschlusses beide Gruppen ohne signifikanten Unterschied, wenn auch die Interventionsgruppe am Studienende statistisch schneller die Übung absolvieren konnte. Die durch den Patienten empfundenen neuropathischen Beschwerden waren in beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich.

    • In der randomisierten, einfach blinden, kontrollierten Studie von Schwenk (2016) erhielten Patienten (n=22) mit CIPN, ohne weitere Nennung der verursachenden Chemotherapie, entweder über 4 Wochen zweimal wöchentlich komplexe Sensor basierte Bewegungsübungen oder keine Übungen. Nach Abschluss der Intervention wurden durch den verblindeten Untersucher der Romberg Stehversuch bewertet zudem die Gefühlsstörungen und neuropathischen Schmerzen mittels einer nummerischen Analogskala durch den Patienten berichtet wie auch die Angst vor einem Sturz mittels eines Bewertungssystems gemessen und die Schritt Performance begutachtet. Des Weiteren wurden Stabilität von Hüfte und Sprunggelenk gemessen. Primärer Endpunkt war allerdings die Messung des Körperschwerpunkts bei geöffneten Augen (analog zum Romberg Stehversuch mit geschlossenen Augen).  Während sich für die Schritt Performance, die Angst vor einem Sturz, Bewertung der Schmerzen und Gefühlsstörung sowie den Romberg Stehversuch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen zeigten, waren die Stabilität der Hüfte und des Sprunggelenks sowie die Kontrolle des Körperschwerpunkts bei geöffneten in der Interventionsgruppe signifikant besser.  

    • In der nicht randomisierten, nicht kontrollierten Studie von Cammisuli (2016) erhielten Patienten (n=7) mit Paclitaxel, Cisplatin oder Oxaliplatin induzierter Neuropathie eine komplexe Behandlung mit einem speziellen Balance-Übungsgerät (SmartBalanceMaster®). Die Balance war nach 4-wöchiger Beübung signifikant besser als zum Zeitpunkt des Studieneintritts.

    • Aus einer randomisierten, kontrollierten Studie gibt es einen Hinweis auf die fehlende Wirksamkeit von Übungen auf einer Ganzkörpervibrationsplatte zur Therapie der CIPN. (Schönsteiner 2017)

Aussagen in Leitlinien

Die Leitlinie der AWMF zur Komplementärmedizin (2024) erwähnt das multimodale Training nicht. Lt. Leitlinie zur Supportivtherapie bei onkologischen Patient*innen (2025) "kann" "..zur Vermeidung eines Funktionsverlustes infolge einer durch Chemotherapieinduzierte Polyneuropathie ... bereits zu Beginn einer potenziell neurotoxischen Tumortherapie eine Anleitung zum regelmäßigen Funktionstraining erfolgen."

Sicherheit


Das multimodale Training gilt bei fachgerechter Anwendung im Rahmen eines supervidierten Sportprogramms als sicher. Mögliche Risiken wie Muskelkater, Gelenkbelastung oder Überanstrengung sind gering, wenn das Training unter Aufsicht von qualifizierten Trainerinnen oder Physiotherapeutinnen erfolgt. Kontraindikationen (z. B. akute Infektionen, schwere kardiovaskuläre Erkrankungen oder Knochenmetastasen) sollten vorab ärztlich abgeklärt werden. Nebenwirkungen sind selten und meist mild (z. B. vorübergehende Muskelsteifheit).

Literatur

Cammisuli S, Cavazzi E, Baldissarro E, Leandri M.Rehabilitation of balance disturbances due to chem-otherapy-induced peripheral neuropathy: a pilot study. Eur J Phys Rehabil Med. 2016 Aug;52(4):479-88.

Hershman DL, Lacchetti C, Dworkin RH, Lavoie Smith EM, Bleeker J, Cavaletti G, et al. Prevention and management of chemotherapy-induced peripheral neuropathy in survivors of adult cancers: American Society of Clinical Oncology clinical practice guideline. J Clin Oncol. 2014 Jun 20;32(18):1941-67.

Kleckner IR, Kamen C, Gewandter JS, Mohile NA, Heckler CE, Culakova E, et al. Effects of exercise during chemotherapy on chemotherapy-induced peripheral neuropathy: a multicenter, randomized controlled trial. Support Care Cancer. 2017 Dec 14.

Schönsteiner SS, Bauder Mißbach H, Benner A, Mack S, Hamel T, Orth M, et al. A randomized exploratory phase 2 study in patients with chemotherapy-related peripheral neuropathy evaluating whole-body vibration training as adjunct to an integrated program including massage, passive mobilization and physical exercises. Exp Hematol Oncol. 2017 Feb 7;6:5

Schwenk M, Grewal GS, Holloway D, Muchna A, Garland L, Najafi B. Interactive Sensor-Based Balance Training in Older Cancer Patients with Chemotherapy-Induced Peripheral Neuropathy: A Randomized Controlled Trial. Gerontology. 2016;62(5):553-63.
Streckmann F, Kneis S, Leifert JA, Baumann FT, Kleber M, Ihorst G, et al. Exercise program improves therapy-related side-effects and quality of life in lymphoma patients undergoing therapy. Ann Oncol. 2014 Feb;25(2):493-9.

Zimmer P, Trebing S, Timmers-Trebing U, Schenk A, Paust R, Bloch W, et al. Eight-week, multimodal exercise counteracts a progress of chemotherapy-induced peripheral neuropathy and improves balance and strength in metastasized colorectal cancer patients: a randomized controlled trial. Support Care Cancer. 2018 Feb;26(2):615-624.