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Alpha-Liponsäure

Hintergrund

Im Jahr 1951 wurde die alpha-Liponsäure (AL; Synonym: Thioctsäure) erstmals beschrieben. Die AL ist eine in Eukaryonten natürlich vorkommende und endogen produzierte, schwefelhaltige Fettsäure. Sie fungiert unter anderem in den Mitochondrien als Coenzym des Citrat-Zyklus. Daneben besitzt AL eine hohe antioxidative Kapazität und kann andere antioxidative Stoffe, wie bspw. Glutathion regenerieren. AL ist ein chirales Molekül wobei nur die rechtsdrehende (+)-Form biologisch aktiv ist. Bei kommerziell verfügbaren AL Präparaten sind typischerweise beide Enantiomere enthalten (was in den Studien meist nicht aufgeführt wird). Nach oraler AL Gabe wird die (+)-Form besser als die (-)-Form aufgenommen.

Aufgrund der antioxidativen Eigenschaften wurde in den 1990er Jahren randomisierte, kontrollierte Studien bei Patienten mit diabetischer Neuropathie durchgeführt. Als Wirkungsmechanismus der AL werden die Reduktion des antioxidativen Stress mit konsekutiver Reduktion proinflammatorischer Zytokine und Vasorelaxation angenommen. Da sich bei der diabetischen Neuropathie durch die Gabe von AL eine Besserung der neuropathischen Beschwerden zeigte, wurden ab 2003 Studien initiiert, die AL zur Prophylaxe und Therapie der CIPN untersuchten. Da Platin Derivate einen oxidativen Stress induzieren können und dies auch als eine Ursache der CIPN vermutet wird, war der Analogieschluss aus der Therapie der diabetischen Neuropathie mit AL gezogen worden.

AL ist ein zugelassenes Arzneimittel bei der Behandlung der diabetischen Polyneuropathie. AL wurde zur Prophylaxe und Therapie der Chemotherapie induzierten peripheren Neuropathie untersucht.

AL wird von vielen Herstellern meist in einer Dosierung zwischen 200 bis 600mg pro Kapsel bzw. Filmtablette und als intravenöse Formulierung angeboten. AL ist apothekenpflichtig kann aber rezeptfrei erworben werden.

Der finanzielle Aufwand ist gering. Eine fachliche Betreuung ist erforderlich.

Wirksamkeit

Zum Einsatz in der onkologischen Supportivtherapie gibt es Ergebnisse aus Interventionsstudien zu folgenden Indikationen:

  • Prophylaxe der Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie (CIPN) unter Oxaliplatin-Therapie: Es gibt einen Hinweis für fehlende Wirksamkeit, hierzu wurde folgende Studie ausgewertet:

    • In der Studie von Guo et al. (2014), erhielten 243 Patienten mit unterschiedlichen Tumoren mehrheitlich (n=239) eine Oxaliplatin-haltige Chemotherapie. Bei 4 Patienten wurde Cisplatin anstelle von Oxaliplatin gegeben. Zur Prophylaxe der CIPN erhielten die Patienten über 24 Wochen peroral 1,8g AL pro Tag bzw. Placebo. Die Symptome und Auswirkungen der CIPN wurden mit standardisierten, von den Patienten ausgefüllten Fragebögen (FACT/GOG-NTX und BPI) und mit Geschicklichkeitstests gemessen. Nach 24wöchiger Behandlung bestanden zwischen den zwei Gruppen keine signifikanten Unterschiede in den Symptomen und Auswirkungen der CIPN, gemessen mit dem Fragebogen ‚FACT/GOG-NTX‘ (primärer Endpunkt der Studie). Auch in den anderen Zielparametern unterschieden sich die Gruppen nicht.

  • Therapie der Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie (CIPN): Aus zwei nicht-randomisierten Studien gibt es einen ersten Anhaltspunkt, dass Alpha-Liponsäure die CIPN hervorgerufen durch Platin-Derivate und Taxanen bessern könnte, hierzu wurden folgende Studien ausgewertet:

    • In der prospektiven, interventionellen, nicht-kontrollierten Studie von Gedlicka (2002) wurden Patienten mit kolorektalem Karzinom untersucht, die unter der Kombination Oxaliplatin und Ralitrexed eine CIPN entwickelten und daraufhin AL (zwei Phasen: intravenös 0,6g pro Woche für 3-5 Wochen gefolgt von 1,8g/Tag oral für maximal 6 Monate oder kompletter Remission der Symptome) erhielten. Bei 8 der 15 Patienten wurde im Median nach vier Wochen mittels einer Oxaliplatin spezifischen, Arzt erhobenen Skala eine Besserung der CIPN festgestellt.

    • In der prospektiven, interventionellen, nicht-kontrollierten Studie von Gedlicka (2003), in der Patienten mit Bronchial-, HNO- oder Magenkarzinom eine CIPN unter Cisplatin kombiniert mit Docetaxel entwickelten und daraufhin AL erhielten (zwei Phasen: intravenös 0,6g pro Woche für 3-5 Wochen gefolgt von 1,8g/Tag oral für maximal 6 Monate oder kompletter Remission der Symptome), beschrieben die Autoren eine Abnahme der CIPN im Median nach vier Wochen bei 8 der 14 Patienten, gemessen mittels einer Arzt erhobenen WHO Skala.
      Die Ergebnisse dieser Studien geben einen Anhaltspunkt dafür, dass AL für die Behandung der Platin- und Taxan-induzierten Neuropathie wirksam ist.

Aussagen in Leitlinien:

Die AWMF Leitlinie zur Komplementärmedizin bei onkologischen Patient*innen (2021) erwähnt Alpha-Liponsäure nicht. Die Leitlinie zur Supportivtherapie bei onkologischen Patient*innen (2020) spricht sich gegen den Einsatz von Alpha-Liponsäure zur Prophylaxe der CIPN aus. Die Leitlinie der ASCO (2020) spricht sich gegen den Einsatz von alpha-Liponsäure aus.

Sicherheit

Die Fachinformationen der oralen AL Präparate geben als „häufige" unerwünschte Wirkung Schwindelgefühl und Übelkeit an. Die Fachinformationen der AL Präparate warnen vor der Möglichkeit des Wirkungsverlustes von Platinderivaten, da AL ein Metallchelator ist.

Literatur

Gedlicka C, Kornek GV, Schmid K, Scheithauer W. Amelioration of docetaxel/cisplatin induced polyneuropathy by alpha-lipoic acid. Ann Oncol. 2003 Feb;14(2):339-40.

Gedlicka C, Scheithauer W, Schüll B, Kornek GV. Effective treatment of oxaliplatin-induced cumulative polyneuropathy with alpha-lipoic acid. J Clin Oncol. 2002 Aug 1;20(15):3359-61.

Guo Y, Jones D, Palmer JL, Forman A, Dakhil SR, Velasco MR, et al. Oral alpha-lipoic acid to prevent chemotherapy-induced peripheral neuropathy: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Support Care Cancer. 2014 May;22(5):1223-31.

Hershman DL, Lacchetti C, Dworkin RH, Lavoie Smith EM, Bleeker J, Cavaletti G, et al. Prevention and manage-ment of chemotherapy-induced peripheral neuropathy in survivors of adult cancers: American Society of Clini-cal Oncology clinical practice guideline. J Clin Oncol. 2014 Jun 20;32(18):1941-67.

MEDA Pharma GmbH. Fachinformation: Thioctacid ® 600T (Stand: 12/2016). Webseite: https://www.fachinfo.de/pdf/007153 (Letzter Zugriff: 01.03.2018)

Shay KP, Moreau RF, Smith EJ, Smith AR, Hagen TM. Alpha-lipoic acid as a dietary supplement: molecular mechanisms and therapeutic potential.Biochim Biophys Acta. 2009 Oct;1790(10):1149-60.