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Chemotherapiebedingte Nervenschädigung

Beschreibung

Während einer Krebserkrankung und deren Behandlung entwickeln manche Patientinnen und Patienten Taubheitsgefühle oder Missempfindungen in den Händen und Füßen. Ursache sind meist die zur Krebsbehandlung eingesetzten Medikamente, welche die Nerven reizen oder schädigen können. Die Beschwerden werden als Nervenschädigung (Neuropathie) und ihrer häufigsten Ursache nach als chemotherapiebedingte Nervenschädigung (chemotherapieinduzierte Polyneuropathie, CIPN) bezeichnet. Die CIPN kann sich sehr unterschiedlich äußern, zum Beispiel in einem kribbelnden oder eingeschlafenem Gefühl, einem veränderten Temperaturempfinden oder Taubheitsgefühlen. Sie kann aber auch mit Schmerzen und Unsicherheit beim Laufen einhergehen und Bewegungsabläufe einschränken (z.B. Greifen nach einem Gegenstand, laufen). Dauer und Intensität der Neuropathie können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Weiterführende Informationen dazu finden Sie in der Patientenleitlinie zur Supportiven Therapie (2018).

Behandlung

Es gibt verschiedene allgemeine Maßnahmen bei einer CIPN. Diese finden Sie unter 3.3. Zur Vorbeugung von therapiebedingten Nervenschäden empfiehlt die Leitlinie zur Supportiven Therapie (2020) regelmäßiges Bewegungs- und Funktionstraining der Finger und Zehen. Zur Behandlung bereits bestehender Nervenschäden empfiehlt sie spezielle Bewegungstherapien (z.B. sensomotorisches und koordinatives Training) sowie der gezielte Einsatz von Medikamenten bei stärkeren Beschwerden und Funktionsstörungen. Weitere Informationen für Fachleute sind in der Leitlinie zur Supportiven Therapie (2020).

Wenn die Nervenschäden durch die Medikamente der Krebsbehandlung verursacht werden, kann zudem die Dosis dieser Medikamente verringert oder auf ein anderes Medikament umgestellt werden. 

Entscheidend für die Behandlung einer CIPN ist das frühzeitige Erkennen von deren Anzeichen. Deshalb ist es wichtig, dass Patientinnen und Patienten alle auftretenden Beschwerden, die auf eine CIPN hinweisen können, umgehend mit ihrem Behandlungsteam besprechen.

Therapieverfahren der integrativen Onkologie

Zur Vorbeugung und Behandlung einer CIPN können Verfahren aus der integrativen Onkologie, z.B. traditionelle Behandlungsverfahren oder pflanzliche Heilmittel ergänzend eingesetzt werden. Zu einigen gibt es Ergebnisse aus klinischen Studien, zu anderen fundierte fachliche Behandlungserfahrung.

In klinischen Studien untersuchte Verfahren

Es gibt einen Anhaltspunkt aus klinischen Studien, dass die Gabe von ACC bei Krebspatientinnen und -patienten mit einer Chemotherapie mit Oxaliplatin oder Paclitaxel helfen kann, einer chemotherapiebedingten Nervenschädigung (CIPN) vorzubeugen. Die Leitlinie zur Komplementärmedizin (2023) erwähnt Acetylcystein nicht. Die Leitlinie zur Supportivtherapie bei onkologischen Patient*innen (2020) spricht sich, ebenfalls wie die Leitlinie der ASCO (2020) aufgrund von fehlenden Langzeitdaten zur Sicherheit in der Tumortherapie gegen den Einsatz in der Prophylaxe aus.

ACC wird eine fördernde Wirkung auf den Stoffwechsel zugeschrieben. Man nimmt an, dass der Wirkstoff die Herstellung von Gluthation im Körper unterstützt, welches für den Abtransport von Schwermetallen wichtig ist, und so helfen kann, einer CIPN vorzubeugen. ACC wird in Form von Tabletten oder als Pulver zum Herstellen einer Lösung angeboten. Wenn ACC in zu hohen Dosen von mehreren Gramm pro Tag eingenommen wird, können in sehr seltenen Fällen vorübergehend unerwünschte Wirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden auftreten.

Patientinnen und Patienten können ACC rezeptfrei in Apotheken kaufen. Vor Beginn der Einnahme ist es wichtig, mit dem Behandlungsteam zu sprechen.

Die Wirksamkeit von Akupunktur zur Vorbeugung und Behandlung der chemotherapiebedingten Nervenschädigung (CIPN) ist in klinischen Studien untersucht worden. Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Die Leitlinie zur Supportiven Therapie (2020) trifft keine Aussage für oder gegen den Einsatz von Akupunktur zur Behandlung einer CIPN. Die Leitlinie zur Komplementärmedizin (2021) erwähnt das Verfahren in dem Zusammenhang, dass Schmerzen, die durch eine CIPN ausgelöst werden, mit Akupunktur behandelt werden können.

Die Akupunktur ist ein therapeutisches Verfahren der traditionellen chinesischen Medizin (TCM).  Durch das Einsetzen feiner Nadeln an bestimmten Körperpunkten soll dabei das Gleichgewicht der Körperenergie wiederhergestellt werden.

Sie wird durch ausgebildete Therapeutinnen und Therapeuten zur Vorbeugung oder Behandlung von Beschwerden und Erkrankungen eingesetzt. Die Akupunktur selbst gilt bei fachkundiger Ausführung als sicheres und nebenwirkungsarmes Verfahren. 

Weiterführende Informationen finden Sie hier: Akupunktur 

Alpha-Liponsäure wurde in klinischen Studien untersucht. Dabei ergaben sich Anhaltspunkte für eine fehlende Wirksamkeit zur Vorbeugung, einer chemotherapiebedingten Nervenschädigung (CIPN), wenn diese durch Oxaliplatin verursacht worden ist. Die Leitlinie zur Supportiven Therapie (2020) empfiehlt, Alpha Liponsäure nicht zur Vorbeugung einer CIPN einzusetzen und in der Leitlinie zur Komplementärmedizin (2021) wird die Substanz nicht erwähnt. Zur Wirksamkeit von Alpha-Liponsäure in der Behandlung einer bereits bestehenden Nervenschädigung gibt es bisher keine Studien.

Alpha-Liponsäure ist eine Fettsäure, die im menschlichen Körper produziert wird und antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften besitzt. Sie wird in der Behandlung der diabetischen Neuropathie eingesetzt, wo ihre Wirksamkeit durch klinische Studien belegt ist.  Da Alpha-Liponsäure auch Metalle bindet, hat man vermutet, dass sie helfen kann, unerwünschten Wirkungen (z.B. CIPN) von Chemotherapien (z.B. Platin, Oxaliplatin) vorzubeugen oder diese zu mindern. 

Alpha-Liponsäure ist in der Apotheke als Kapsel oder Filmtablette zwischen 200-600mg erhältlich und wird zudem auch als Lösung zur Gabe als Infusion hergestellt. Die Kosten sind gering. Da eine fachliche Betreuung in jedem Fall erforderlich ist, sollten Patientinnen und Patienten vor Beginn der Einnahme unbedingt mit ihrem Behandlungsteam Rücksprache halten. 

Die Wirksamkeit von Amifostin zur Vorbeugung einer chemotherapiebedingten Nervenschädigung (CIPN) ist in klinischen Studien untersucht worden. Die Ergebnisse daraus sind widersprüchlich. In den Leitlinien zur Komplementärmedizin (2021) und zur Supportiven Therapie (2020) wird die Substanz nicht erwähnt. Da Amifostin zudem teuer ist und häufig unerwünschte Wirkungen auftreten, hat es keinen Stellenwert in der Vorbeugung oder Behandlung einer CIPN. 

Amifostin wurde in den 1960iger Jahren vom amerikanischen Militär entwickelt, um im Zuge der atomaren Bedrohung während des Kalten Krieges den menschlichen Körper vor Strahlung zu schützen. Für den Einsatz der Substanz in der Medizin hat man vermutet, dass bei einer Strahlentherapie im Rahmen einer Krebsbehandlung Tumorgewebe nicht von diesem Schutz profitiert und auch schädigende Wirkungen verschiedener Medikamente einer Chemotherapie gemindert werden können.

L-Carnitin wurde bei der CIPN in klinischen Studien untersucht.  Zum einen gibt es bei der Behandlung einer durch Chemotherapie mit Platin verursachten CIPN einen Anhaltspunkt für Wirksamkeit. Zum anderen kann L-Carnitin zur Vorbeugung einer CIPN bei Chemotherapien mit Taxanen sogar schädlich sein. Hierfür gibt es einen Hinweis aus einer Studie. Die Leitlinie zur Komplementärmedizin (2021) rät daher generell von der Einnahme von L-Carnitin zur Vorbeugung oder Behandlung einer CIPN ab.

L-Carnitin ist ein nicht essentieller Nährstoff. Es wird sowohl im menschlichen Körper gebildet als auch über die Nahrung aufgenommen. L-Carnitin spielt eine wichtige Rolle im Energiestoffwechsel und bei Entzündungsprozessen.

In seltenen Fällen können bei der Einnahme von größeren Mengen L-Carnitin unerwünschte Wirkungen wie Übelkeit, Schlaflosigkeit, Erbrechen oder leichte Magen-Darm-Verstimmungen auftreten. Zudem werden mögliche Wechselwirkungen mit Schilddrüsenmedikamenten beschrieben. Vor Beginn der Einnahme von L-Carnitin sollte Rücksprache mit dem Behandlungsteam gehalten werden. 

Weiterführende Informationen finden Sie hier: L-Carnitin

Druckhandschuhe (zu kleine chirurgische Handschuhe) können helfen, der Entstehung einer chemotherapiebedingten Nervenschädigung (CIPN) vorzubeugen. Hierzu gibt es Anhaltspunkte aus klinischen Studien. Die Leitlinie zur Komplementärmedizin (2021) erwähnt dieses Verfahren nicht.

Bei dem Verfahren werden zu kleine chirurgische Handschuhe 30 Minuten vor bis ca. 30 Minuten nach der Gabe einer besonders nervenschädigenden Substanz angezogen. Durch den Druck wird die Gewebedurchblutung reduziert, weshalb die Medikamente der Chemotherapie ihre nervenschädigende Wirkung nicht so stark entfalten können.

Bei Chemotherapien mit Taxanen ist bekannt, dass die Nervenschädigung an den Fuß- und Fingerspitzen beginnt und sich nach oben ausbreitet. Hier ist ein Schutz der Nervenenden wahrscheinlich möglich.

Der finanzielle Aufwand ist gering. Patientinnen und Patienten können dieses Verfahren selbstständig anwenden. Es gilt als sicher und nebenwirkungsarm. 

Die Wirksamkeit von Glutamin zur Vorbeugung einer chemotherapiebedingten Nervenschädigung (CIPN) ist in klinischen Studien untersucht worden. Dabei zeigten sich unterschiedliche Ergebnisse: Es gibt Anhaltspunkte, dass Glutamin eine gewisse vorbeugende Wirkung bei Nervenschädigungen durch Oxaliplatin hat, bei solchen durch Platin-Taxan-Chemotherapien gibt es Anhaltspunkte für fehlende Wirksamkeit. Die Leitlinien zur Komplementärmedizin (2021) und zur Supportiven Therapie (2020) Glutamin nicht.

Glutamin ist eine nicht-essentielle Aminosäure, die im Körper gebildet wird. Sie spielt eine wichtige Rolle im Energiehaushalt. Es wird angenommen, dass die zusätzliche Einnahme von Glutamin helfen kann, die Regeneration des Körpers zu unterstützen und Schäden, wie denen bei einer CIPN, vorzubeugen. Präparate mit Glutamin werden in Form von Tabletten oder Kapseln hergestellt. Unerwünschte Wirkungen sind sehr selten.

Glutamin ist als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. Der finanzielle Aufwand ist gering. Patientinnen und Patienten sollten vor Beginn der Einnahme Rücksprache mit dem Behandlungsteam halten.

Weiterführende Informationen finden Sie hier: Glutamin

Photobiomodulation (LLLT = low level laser therapy) kann zur Behandlung einer CIPN wirksam eingesetzt werden. Hierzu gibt es Anhaltspunkte aus klinischen Studien. Die Leitlinien zur Komplementärmedizin (2021) und zur Supportiven Therapie (2020) erwähnen das Verfahren nicht.

Bei der Photobiomodulation wird Laserlicht mit einer Wellenlänge von 600-1.000 nm eingesetzt. Es soll die Entzündung von Nerven- und Epithelgewebe mindern, dem frühzeitigen Absterben von Zellen entgegenwirken und die Zellatmung verbessern. Es wird auch behauptet, dass das Laserlicht das Wachstum von Nerven- und Bindegewebszellen sowie den Stoffwechsel fördert.

Für die Photobiomodulation wird ein Laser-Therapiegerät mit entsprechender Software benötigt. Der Gerätepreis (für das verwendete Gerät in der Studie zur Therapie der Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie) liegt bei ca. 20.000€. Die Zugangsmöglichkeit zu diesem Verfahren ist unklar, da dieses Verfahren scheinbar in Deutschland derzeit nicht angeboten wird.

Weitere Informationen zu diesem Verfahren finden Sie hier: Photobiomodulation

Bei der Akupressur können Sie selbst bestimmte Punkte am Körper massieren, die ansonsten in der Akupunktur verwendet werden. Je nach Punktkombination kann die Akupressur bei bestimmten Beschwerden helfen. Für Missempfindungen haben sich die folgenden Punkte bewährt.

Verfahren aus der Behandlungspraxis

Aus langjährigen Behandlungserfahrungen gibt es weitere, mit wenig Aufwand umzusetzende Maßnahmen, die die Beschwerden einer Nervenschädigung mindern können. Patientinnen und Patienten können hier selbst auswählen und probieren, was guttut und hilft.

Unter äußeren Anwendungen versteht man u.a. Einreibung, Massagen, Waschungen und Bäder. Sie werden mit Wärme, Kälte, Pflanzenstoffen oder ätherischen Ölen kombiniert, um die gewünschte Wirkung zu verstärken. Im Weiteren finden Sie mögliche Anwendungen aufgeführt, die sich bei Nervenschädigungen bewährt haben.


Praktische Tipps und Informationen zum Weiterlesen

Wenn Füße und Hände Kribbeln und Schmerzen - Krebsverband Baden-Württemberg E.V. PDF, 1.36 MB

Allgemeine Maßnahmen zur Linderung der Beschwerden bei einer Nervenschädigung (CIPN)

  • Angenehme Reize setzen z.B. durch Massage, einen Igelball, Bürsten

  • Auf locker sitzende Kleidung achten

  • Auf gutsitzende Schuhe achten

  • Klettverschlüsse anstelle von Schnürsenkeln verwenden

  • Knöpfhilfe verwenden

  • Griffhilfen verwenden

  • Schutzhandschuhe bei Putzen, Handwerken oder Gartenarbeit tragen

  • Beim Duschen, Baden auf Wassertemperatur achten, Badethermometer verwenden

  • Besondere Vorsicht bei der Nagelpflege

  • Stolperfallen in der Wohnung beseitigen wie lose Teppichkanten befestigen oder Antirutsch-Matten verwenden

Dieser Beitrag wurde am veröffentlicht und zuletzt am 2. December 2023 aktualisiert.


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